KOSTEN DER CORONA-HILFEN: 1900.000.000.000 Euro?

14. Mai 2020 0 Von DieVolleWahrheit

Kassensturz: Wie teuer wird die Corona-Krise?

Der deutsche Staat hat im Kampf gegen das Virus gigantische Summen mobilisiert. Doch die Wirtschaftskrise könnte noch schlimmer werden als von der Regierung erwartet. Höchste Zeit für einen Kassensturz.

Es wäre die größte Rechnung in der Geschichte der Bundesrepublik: Bis zu 1,9 Billionen Euro könnte die Corona-Pandemie den deutschen Staat kosten, so kalkulierte kürzlich

die Deutsche Bank in einer Analyse. 1900.000.000.000 Euro – das wäre so viel, wie die deutsche Wiedervereinigung gekostet hat, und mehr als fünfmal so viel wie der gesamte Bundeshaushalt des vergangenen Jahres. Die Pandemie, sie ist auch ein nie dagewesener Ausnahmezustand der Finanzpolitik.

Immerhin: Es gibt Lichtblicke. Der Corona-Shutdown, der das Land über viele Wochen hinweg fest im Griff hatte, wird allmählich aufgehoben, die Deutschen können sich langsam zurück in Richtung Alltag und Normalität tasten. Aber die Fragen bleiben: Wie lange noch wird der Staat Unternehmen und Arbeitnehmer so massiv unterstützen müssen wie in den vergangenen zwei Monaten? Was passiert, wenn eine zweite Infektionswelle anrollt? Und wer wird am Ende die gewaltige Rechnung begleichen für die Pandemie?

Der Staat wirft weiterhin alles, was er hat, in die Waagschale. Fast 34.000 Unternehmen haben inzwischen bei der Staatsbank KfW wegen Corona-Notkrediten angeklopft, von der Pizzeria an der Ecke bis zu Dax-Konzernen wie Adidas und Lufthansa. Etwa 10 Millionen Arbeitnehmer beziehen derzeit Kurzarbeitergeld, auch das ein einsamer Rekord. Kein Unternehmen solle wegen Corona pleitegehen, so hat es Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) versprochen. „Unser Land kann das stemmen“, versicherte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) Ende März im Interview mit der F.A.S. Das sollte beruhigend klingen. Aber irgendjemand wird am Ende bezahlen müssen.

Wie können die Corona-Lasten fair verteilt werden?

Wie also können die Corona-Lasten fair verteilt werden? Die Debatte darüber ist im vollen Gange – und sie spaltet in der Bundesregierung einmal mehr Sozialdemokraten und Union: SPD-Chefin Saskia Esken fordert eine einmalige Vermögensabgabe für Wohlhabende, ähnlich wie sie einst zur Finanzierung des Lastenausgleichs für Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg erhoben wurde. Aber das würde auch viele Familienunternehmer treffen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz vermeidet seit Wochen eine klare Ansage, was er von dem Vorstoß seiner Parteigenossin hält. Zustimmung gibt es dagegen von der Opposition. „Die privaten Vermögen, die heute mit staatlichen Schulden gerettet werden, müssen auch einen Beitrag zur Finanzierung der Krise leisten“, sagt Sven-Christian Kindler, der haushaltspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag. Das Berliner Wirtschaftsforschungsinstitut DIW wiederum schlägt einen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer vor, wie er als Solidaritätszuschlag zur Finanzierung der deutschen Einheit geschaffen wurde.

Ein Pandemie-Obolus für Vermögende? Ein Corona-Soli in der Einkommensteuer? Mit der Union sei beides nicht zu machen, sagt der CDU-Finanzpolitiker und Fraktionsvize im Bundestag Andreas Jung: „Wir wollen den bestehenden Soli so schnell wie möglich ganz abschaffen und nicht einen neuen schaffen.“ Auch die liberale Opposition ist strikt gegen höhere Steuern im Kampf gegen die Corona-Schulden. „Grotesk“ nennt FDP-Chef Christian Lindner die Forderung der Sozialdemokraten nach einer Corona-Vermögensabgabe. Stattdessen fordert er als Antwort auf das Rezessionsvirus eine „wachstumsfreundliche Steuerreform“, die den Unternehmen Anreize für Investitionen gebe. Trotz klaffender Haushaltslöcher müsse der Steuersatz auf Unternehmensgewinne gesenkt werden. Lindner: „Was vor der Krise richtig war, ist jetzt umso dringender.“

„Jetzt nicht hektisch Steuern erhöhen oder Ausgaben kürzen“

Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten, die Corona-Löcher in der Staatskasse zu stopfen: Steuern hoch, Ausgaben runter – oder aber mehr Wirtschaftswachstum. Denn wenn die Wirtschaft wächst, wenn die Gewinne der Unternehmen und die Einkommen der Bürger steigen, bekommt auch der Staat automatisch mehr Steuergelder in die Kasse. Zumindest von den ersten beiden Optionen hält Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts, wenig: „Wir sollten jetzt nicht anfangen, hektisch Steuern zu erhöhen oder Ausgaben zu kürzen“, rät der Ökonom. Beides würde im Zweifel die prekäre Wirtschaftslage nur noch schlimmer machen.

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Bild: F.A.Z.

Nur leider erscheint auch die dritte Option derzeit nicht sehr vielversprechend: Die Aussichten auf eine rasche Wirtschaftserholung, einen Wachstumsschub nach dem Corona-Schock sind ziemlich mau. „Die höhere Staatsverschuldung ist jetzt nicht unsere Hauptsorge“, sagt denn auch der Ifo-Chef Fuest. „Unser größtes Problem ist: Wie finden wir zurück zu Wirtschaftswachstum als eine Exportnation, deren wichtigste europäische Handelspartner ebenfalls krisengeschüttelt sind?“

Aber wird die beginnende Lockerung des Shutdowns nicht auch der Wirtschaft neuen Schwung geben? Stefan Schneider, Deutschland-Chefvolkswirt der Deutschen Bank, ist da skeptisch: „Viele Konsumenten werden sehr zurückhaltend sein, auf einen schnellen, kraftvollen Konsumschub, weil Geschäfte und Restaurants wieder aufhaben, sollten wir uns besser nicht verlassen“, sagt Schneider. Die Ökonomen der Deutschen Bank, die bislang eher zu den Optimisten zählten, tun das jedenfalls nicht: Soeben haben sie ihre Wirtschaftsprognosen drastisch gesenkt. In Deutschland rechnen sie nun dieses Jahr mit einem Einbruch der Wirtschaftsleistung um mindestens 9 Prozent, eine Mega-Rezession, wie sie die Bundesrepublik noch nie erlebt hat. Zum Vergleich: Die Planungen der Bundesregierung basieren bisher auf einem Minus von „nur“ 6,3 Prozent. „Der Weg aus der Krise wird länger dauern als zunächst angenommen“, sagt Schneider voraus.

Kosten von 453 Milliarden Euro – bisher

Behalten die Fachleute recht und wird der Weg aus dem Corona-Loch, in das die Weltwirtschaft gestürzt ist, tatsächlich so beschwerlich, dann bedeutet das nichts Gutes für die deutschen Staatsfinanzen. Die Schulden könnten bis Ende nächsten Jahres von 60 auf bis zu 100 Prozent der Wirtschaftsleistung nach oben schnellen. Schon jetzt sind die Kosten gewaltig: Das Berliner Finanzministerium beziffert den bisherigen Gesamtaufwand der staatlichen Corona-Nothilfen für Bund, Länder, Kommunen und die Sozialversicherung mit exakt 453,3 Milliarden Euro. Darin enthalten ist unter anderem ein im Eilverfahren durchgepaukter Nachtragshaushalt des Bundes von 156 Milliarden Euro und 200 Milliarden Euro für einen „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“, der bei klammen Großunternehmen wie etwa der Lufthansa als Rettungs-Aktionär einsteigen soll. Keine andere Regierung in Europa kann in der Pandemie derartig große Summen aufbringen wie die deutsche. Das Land profitiert jetzt davon, dass die Finanzlage vor der Krise so gut war wie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr.

Finanzminister Scholz will die Corona-Schulden im Bundeshaushalt über zwei Jahrzehnte hinweg abstottern. Bliebe es beim bisherigen Kostenstand, wäre das wohl verkraftbar. Das Problem ist nur: Die Rechnung für die Pandemie wird ziemlich sicher weiter steigen. „Wir werden einen zweiten Nachtragshaushalt brauchen“, erwartet der Grünen-Finanzpolitiker Kindler. Große zusätzliche Kosten sind bereits absehbar. So will die Regierung bis Anfang Juni ein umfangreiches Konjunkturpaket schnüren, es könnte ein Volumen von rund 100 Milliarden Euro erreichen. Fachleute wie der Münchner Ökonom Axel Börsch-Supan schätzen, dass auch die gesetzliche Rentenversicherung wegen Corona bis zur Mitte des Jahrzehnts zusätzliche Bundeszuschüsse von insgesamt rund 50 bis 60 Milliarden Euro benötigen wird. Auch die Bundesanstalt für Arbeit braucht womöglich schon bald milliardenschwere Zuschüsse.

Brauchen wir eine Corona-Treuhandanstalt?

Ein sehr großes Haushaltsrisiko bilden zudem die staatlichen Garantien für Corona-Notkredite an Unternehmen, die unter anderem die staatliche KfW-Bank vergibt. Diese Bürgschaften der Regierung haben zusammen ein astronomisch hohes Volumen von 820 Milliarden Euro, 350 Milliarden Euro mehr als während der Weltfinanzkrise 2009. Die Garantien belasten die Staatskasse zwar derzeit nicht, aber falls viele Schuldner die Darlehen in Zukunft nicht bedienen können, wird es teuer für den Finanzminister.

Das ist die Schattenseite der Rettungsaktion: Einerseits sind die Notkredite für viele Unternehmen dringend nötig, um den Corona-Shutdown überstehen zu können. Andererseits wird befürchtet, dass sich zahlreiche Betriebe dadurch überschulden. Dann müsse der Staat die Darlehen womöglich in Eigenkapitalhilfen umwandeln, um eine Pleitewelle zu verhindern, sagt der Ökonom Schneider von der Deutschen Bank. Damit aber würden die Garantien faktisch gezogen und zur Belastung für die Staatskasse.

Das Szenario mutet einigermaßen surreal an – aber auszuschließen sei es keineswegs, glaubt Schneider: Der Staat könnte vorübergehend massenhaft stiller Teilhaber von Corona-geschädigten deutschen Unternehmen werden. „Eine Art Treuhandanstalt 2.0“, sagt der Ökonom in Anspielung an die gleichnamige Staatsholding, die nach der deutschen Wiedervereinigung die volkseigenen Betriebe der ehemaligen DDR übernahm und privatisierte. Auch Insolvenzverwalter glauben, dass eine solche Auffanglösung nötig werden könnte. Das allerdings wäre kein gutes Omen für die Steuerzahler: Die ursprüngliche Treuhandanstalt jedenfalls machte am Ende 250 Milliarden Mark Verlust.

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