Kennst Du das Land, wo die Schuldenerlasse blühen?

11. Mai 2020 0 Von DieVolleWahrheit

Stand: 10.05.2020,   16:20 Uhr | Lesedauer: 4 Minuten

Von Anne KunzFrank Stocker

Nach langen Diskussionen hatten sich die EU-Finanzminister auf ein 500-Milliarden-Euro-Hilfspaket geeinigt, um der Corona-Krise zu entgegnen.

Quelle: WELT

Die Corona-Pandemie hinterlässt in Europa einen gigantischen Schuldenberg. Vor allem die Lage Italiens birgt das Risiko einer neuen Staatsschuldenkrise. Renommierte Ökonomen diskutieren deshalb jetzt einen schmerzhaften Schritt.

Die aktuelle Wirtschaftskrise lässt die Gesamtverschuldung der Euro-Zone in diesem Jahr auf einen neuen Rekord steigen. Die Europäische Kommission erwartet einen Anstieg von 86 auf 102,7 Prozent der Wirtschaftsleistung. Der bisherige Höchststand war während der Euro-Krise mit rund 93 Prozent erreicht worden.

Wesentlicher Grund sind die gigantischen Hilfsprogramme. Sie lindern zwar die Folgen der Corona-Krise, allerdings fallen rund 2,1 Millionen Bürger allein in Deutschland durchs Raster. Wie eine Umfrage im Auftrag der Postbank ergab, erleiden diese 2,6 Prozent existenzbedrohende finanzielle Verluste. Weitere 4,2 Prozent oder 3,5 Millionen Bürger verzeichnen erhebliche finanzielle Einbußen.

Zugleich leidet die finanzielle Stabilität der Staaten erheblich. Nach Einschätzung führender Ökonomen steht die Euro-Zone damit vor einer neuen Zerreißprobe. „Es besteht das Risiko einer Euro-Krise 2.0“, sagte Lars Feld, Vorsitzender der sogenannten Wirtschaftsweisen, des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, gegenüber WELT AM SONNTAG.

Vor allem die Schuldenlast Italiens bereitet Sorgen. Sie wird in diesem Jahr von rund 135 auf 158,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) steigen. Dem Maastrichter Vertrag zufolge gelten 60 Prozent als Obergrenze. „Das kann sehr gut eine neue Staatsschuldenkrise wie zwischen 2010 und 2012 auslösen“, warnt auch Paul de Grauwe, Ökonom an der London School of Economics. Gefährlich ist der Schuldenzuwachs, weil unter Investoren die Angst wächst, dass die Belastungen langfristig nicht tragfähig sind. „Ziehen die Finanzmärkte dies in Zweifel, dann drohen in schneller Abfolge zunehmende Risikoaufschläge, die in eine Schuldenkrise führen können“, warnt Feld.

„Gefährliche Blasen an den Immobilienmärkten“

Derzeit stabilisiert die Europäische Zentralbank (EZB) mit dem Ankauf von Staatsanleihen die Märkte. „Die Programme der EZB und die Möglichkeit eines erleichterten Zugangs zum Schutzschirm des ESM geben derzeit Sicherheit, dass Mitgliedstaaten keine Finanzierungsprobleme bekommen“, sagt Feld.

Doch dieses Eingreifen der Zentralbank wird mittelfristig durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dieser Woche erschwert. Es setzt dem Anleihenkauf durch die EZB enge Grenzen. Zudem stößt die Praxis zunehmend auf Kritik. „Die EZB wird immer mehr zum finanzpolitischen Ausputzer“, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Damit schläfere sie die Reformbereitschaft der Politiker ein. „Und sie leistet dem Entstehen gefährlicher Blasen an den Immobilienmärkten Vorschub.“

Ökonomen spielen daher zunehmend mit dem Gedanken an einen Schuldenschnitt. Vor allem die Schuldenquote Italiens müsse dringend sinken, sagt Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts. „Deshalb spricht viel dafür, dass in einigen Jahren ein Schuldenschnitt kommt.“ Dieser sei so zu organisieren, dass keine Bankenkrise folgt. „Allerdings: Irgendjemand muss die Lasten tragen“, betont Fuest.

Staatsschulden könnten über Nacht verschwinden

Damit entsprechende Verwerfungen vermieden werden, plädiert der Ökonom Daniel Stelter dafür, dass die EZB noch über den Kauf von Staatsanleihen hinausgeht: „Sie könnte auf Tilgung und Zinsen verzichten oder ganz offiziell erklären, dass die Anleihen annulliert sind.“ So würden die Staatsschulden quasi über Nacht verschwinden. Stelter sagt: „Was wie Voodoo klingt, dürfte in den kommenden Jahren zur üblichen Praxis werden, haben doch die Staaten keine andere Wahl.“

Die meisten Forscher lehnen dies jedoch ab. Sie fürchten, ein solches Vorgehen könnte Schule machen. „Es würde in allen Arten von Krisensituationen wieder Druck entstehen, dass die EZB ähnlich handelt und damit Druck von den Staatshaushalten nimmt“, sagt Gabriel Felbermayr, der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). „Die Finanzierung von Staatshaushalten durch die Notenbank ist kein Konzept, das dauerhaft gut gehen wird.”

Früherer Ifo-Chef warnt vor Hyperinflation

Ähnlich sieht das Hans-Werner Sinn: „Das ist gefährlich, weil es die Staaten immer mehr anregt, sich so zu finanzieren, und im Wiederholungsfalle mit Sicherheit zu einer Hyperinflation führt. Der ehemalige Ifo-Chef hält ein solches Vorgehen sogar für illegal. „Das Bundesverfassungsgericht hat diese Woche noch einmal verfügt, dass Staatspapiere niemals dauerhaft bei der EZB abgelegt werden dürfen“, sagt Sinn. „Sollte der EZB-Rat das dennoch beschließen, dürfte die Bundesbank nicht mitmachen, und der Euro würde sofort platzen.“

Der einzige Weg, eine neue Euro-Krise zu verhindern, führt für die meisten Ökonomen nur über die Schuldenreduktion durch die Staaten selbst. Das setze eine gewisse Finanzdisziplin voraus, sagt IfW-Chef Felbermayr. Finanzielle Transfers innerhalb der Euro-Zone dürfe es aber geben. „Ich halte es für angemessen und im eigenen Interesse, dass Deutschland dazu Beiträge leistet“, sagt er.

https://www.welt.de/wirtschaft/article207859575/Oekonomen-fuerchten-neue-Euro-Krise-Es-spricht-viel-fuer-einen-Schuldenschnitt.html