NORD STREAM 2 versus “Gas der Freiheit“

29. Januar 2020 0 Von DieVolleWahrheit

Es ist eins der umstrittensten Energieprojekte in Europa: Die Pipeline Nord Stream 2, die durch die Ostsee führt und Erdgas aus Russland nach Deutschland liefert.

Der US-Präsident will die Pipeline Nord Stream 2 stoppen. Angeblich sorgt er sich um Deutschlands Unabhängigkeit von Russland, die Bundesrepublik werde „erpressbar“. Doch die vergangenen Tage haben gezeigt, dass es in Wahrheit um etwas anderes geht.

Vor der dänischen Insel Bornholm, bei langsamer Fahrt auf Kurs Südwest, gerät die „Solitaire“ plötzlich ins Zentrum der Weltpolitik. Es ist ein Tag im Dezember 2019, an Bord sind die Arbeiten in vollem Gang. Die Seeleute verschweißen Rohrstücke und lassen sie über das Heck in die Tiefe gleiten.

Alles läuft nach Plan, die Pipeline am Meeresgrund wächst. 160 Kilometer noch, dann würde Nord Stream 2 fertig sein. Aber kurz vor Weihnachten erreicht die Mannschaft eine überraschende Nachricht. Das Projekt, ordnet die Reederei Allseas an, werde gestoppt, sofort.

Die Manager hatten keine Wahl, obwohl sie fast am Ziel waren, 1000 Kilometer Leitung lagen schon in der Ostsee. Denn die US-Regierung drohte der Firma mit hohen Strafen, wenn sie weiterbaut. Amerika will die Pipeline, durch die Erdgas von Russland nach Deutschland strömen soll, unbedingt verhindern.

Berlin, meint Präsident Donald Trump, mache sich mit Nord Stream 2 zu „Moskaus Geisel“. Schließlich könne Wladimir Putin das Gas jederzeit abstellen. Die Bundesrepublik, fürchtet Trump, werde so erpressbar.

Trump schlägt eine Alternative vor: Gas aus Texas, Alabama oder Oklahoma statt aus Sibirien. Man wolle, heißt es aus dem US-Energieministerium, „Moleküle der Freiheit“ über den Atlantik schicken. Von „Freedom Gas“ ist die Rede. Das klingt heroisch. Aber ist es das auch? Kämpft Trump wirklich für die Unabhängigkeit der Deutschen? Oder will er ihnen bloß amerikanisches Gas verkaufen?

„Trump hat wohl einen Hintergedanken“, sagt Giovanna De Maio von der Washingtoner Denkfabrik Brookings Institution. Es gehe dem Präsidenten nicht allein darum, die Nato-Verbündeten vor den Launen Putins zu beschützen. „Er möchte die europäischen Länder auch dazu bewegen“, meint De Maio, „ihren Energiebedarf mit Flüssiggas aus den USA zu decken.“

Amerika, so lautet Trumps Plan, soll zur Gasweltmacht aufsteigen. Bisher ist das Land der drittgrößte Exporteur, nach Katar und Australien und vor Russland. Bald soll es die Nummer eins sein, bald soll es den ganzen Planeten versorgen.

Nord Stream 2 kommt den Amerikanern deshalb ungelegen. Aber Putin will die Pipeline weiterbauen, auch ohne die „Solitaire“. Sie werde etwas später fertig, sagte er kürzlich, wahrscheinlich 2021, aber sie werde fertig. Trump dürfte nicht tatenlos zusehen. Der Präsident steht unter Druck. Wohl mehr denn je.

Der Grund: ein Crash auf dem Gasmarkt. Im vergangenen Jahr halbierten sich die Preise, vergangene Woche lagen sie sogar so niedrig wie zuletzt 2016. Gas lässt sich gerade schwer verkaufen, das Wetter ist in vielen Ländern wärmer als erwartet, die Menschen heizen wenig. Außerdem gibt es einfach zu viel von dem Rohstoff auf der Welt.

Trump muss dringend neue Käufer finden. Und er hofft auf Europa. Aber dort hat Gazprom das Sagen. Russlands staatlicher Energiegigant und Eigentümer von Nord Stream 2 deckt rund 40 Prozent des Bedarfs ab. Die USA liefern weniger als 15 Prozent. Die Russen sind im Vorteil, sie können ihre Moleküle durch Pipelines pumpen, die Amerikaner müssen sie mit Tankern über den Atlantik fahren. Das ist aufwendig und teuer.

Das Gas muss in den US-Häfen stark heruntergekühlt werden, auf minus 162 Grad Celsius, damit es sich verflüssigt. Erst dann kann man es sicher transportieren. Liquefied Natural Gas heißt das Produkt, kurz LNG. Es sind drei Buchstaben, die für Amerikas Wirtschaft sehr wichtig geworden sind – und auf der außenpolitischen Agenda daher weit oben stehen.

Trumps Pläne für die Energiedominanz

Seit Trump im Amt ist, haben sich die LNG-Exporte der Vereinigten Staaten fast verdreifacht. Am Golf von Mexiko entstanden reihenweise neue Verflüssigungsanlagen. US-Firmen förderten in den vergangenen Jahren Gas wie im Rausch.

Das Fracking boomte, jenes umstrittene Verfahren, bei dem Rohstoffe mit einem Gemisch aus Sand, Wasser und Chemikalien aus tief liegendem Gestein gesprengt werden. 2018 stieg die Gasproduktion um zwölf Prozent, 2019 um zehn Prozent. Amerika erlebt einen LNG-Moment. Aber ohne neue Abnehmer droht vielen Bohrtürmen die Stilllegung und vielen Arbeitern die Entlassung.

All die Türme und Terminals sollen den USA zur „Energiedominanz“ verhelfen, wie Trump es nennt. Die Herrschaft über das Gas ist ein zentrales Thema seiner Präsidentschaft. Gleich vier Dekrete hat er dazu erlassen. Sie lockern Umweltauflagen und beschleunigen Genehmigungsprozesse, damit schneller neue Fracking-Türme errichtet werden können.

Zudem schicken US-Behörden Mitarbeiter nach Asien und Afrika, um dort beim Bau von LNG-Anlagen zu assistieren. Amerika versucht viel, um die „Moleküle der Freiheit“ in die Welt zu tragen.

Das ist nichts Ungewöhnliches. Amerikas Präsidenten setzten sich schon oft vehement für die Produkte ihres Landes ein. Trump fördert den LNG-Export wie seine Vorgänger den Verkauf von Boeings oder Sojabohnen. Er dürfte das als eine Win-win-Situation betrachten.

Mit dem Flüssiggas lässt sich der politische Einfluss der USA in der Welt erhöhen und zugleich die heimische Rohstoffindustrie unterstützen. Vor allem der zweite Punkt wird Trump wichtig sein. Denn die Öl- und Gasfirmen zählen zu seinen treusten Unterstützern – und in diesem Jahr wird in Amerika gewählt.

Auf Stimmen dürfte es auch dem Mann ankommen, der den Kampf gegen die „Solitaire“ begann. Die Aktion geht auf eine Initiative des republikanischen Senators Ted Cruz zurück. Cruz schrieb der Reederei einen Brief, in dem er vor „erdrückenden und möglicherweise tödlichen“ Strafen warnte, sollte die Arbeit an Nord Stream 2 fortgesetzt werden.

Warum tat er das? Sorgt sich Cruz um Deutschland? Wahrscheinlicher ist, dass der Politiker das wirtschaftliche Wohl seines Bundesstaates Texas im Sinn hat. Dort, in dem gigantischen Permian-Becken, wurde vor kurzer Zeit neues Gas entdeckt, das bald Käufer braucht.

https://www.welt.de/wirtschaft/article205360033/Verbot-von-Nord-Stream-2-Der-globale-Kampf-ums-Gas.html