🔥🔥„Bürgerkriegsähnliche Zustände“ – Stuttgart, die Schreckensbilanz der Krawallnacht🔥🔥

25. Juni 2020 0 Von Horpenit

Stand: 21.06.2020 |

Eingeschlagene Schaufenster, fliegende Pflastersteine und Plünderungen: In der Nacht zum Sonntag lieferten sich Dutzende Kleingruppen in der Innenstadt von Stuttgart Straßenschlachten mit der Polizei. Hintergründe kommen nur langsam ans Licht.

Quelle: WELTAUTOPLAY Baden-Württembergs Innenminister Strobl spricht von den schwersten Unruhen, die das Bundesland je gesehen hat: In Stuttgart verwüsteten in der Nacht mehrere Hundert Randalierer die Innenstadt. Sie plünderten und verletzten Polizisten.2381Werbung ausblendenAnzeige

24 vorläufige Festnahmen und 19 verletzte Polizisten – das ist die derzeitige Bilanz der Ausschreitungen in der Stuttgarter Innenstadt. In der Nacht zum Sonntag hätten sich während einer Kontrolle anlässlich eines Drogendelikts viele Feiernde gegen die Polizisten solidarisiert, teilte die Polizei am Morgen mit.

Die Menschen, viele von ihnen vermummt, zogen demnach randalierend in Richtung Schlossplatz. Es flogen Pflastersteine auf vorbeifahrende Polizeiautos, Schaufenster wurden eingeschlagen und Geschäfte geplündert. Mehr als 200 Polizisten aus dem Stuttgarter Umland wurden vorübergehend in die Landeshauptstadt beordert, Polizeihubschrauber flogen über die Stadt. Erst nach Stunden beruhigte sich die Lage.

Am Morgen danach genießen Menschen auf dem Stuttgarter Schlossplatz die Sonne, trinken ihren Kaffee oder drehen ihre Joggingrunden. Wenige Meter davon entfernt steht der immer noch fassungslose Leiter eines Handygeschäfts, Eyob Russom, vor einem Scherbenhaufen. In seinem Shop an der Haupteinkaufsmeile Königstraße liegen herausgerissene Pflastersteine, viele Handys sind verschwunden. Im Laden nimmt die Spurensicherung den Schaden unter die Lupe. Russom sagt: „Traurig, dass so etwas passiert ist.“ Er habe sich so etwas in Stuttgart nicht vorstellen können.

Aus einem Juwelier wurde Goldschmuck gestohlen

Punktuell und wahllos sind Geschäfte beschädigt und geplündert: eine Eisdiele, die Filiale einer Fast-Food-Kette, ein Ein-Euro-Shop. Einen Juwelier hat es besonders getroffen: Hinter den Spanplatten vor der Auslage herrscht gähnende Leere. Aller Goldschmuck ist gestohlen worden. Vor einem benachbarten Shopping-Center ist eine zwölfköpfige Truppe des Technischen Hilfswerks mit der sogenannten Eigentumssicherung beschäftigt. Die Männer befestigen zwei Spanplatten an dem zerstörten Eingang in die Mall.

Wie Russom zeigen sich auch viele weitere Bewohner der Landeshauptstadt schockiert über die Gewalt. „Sowas gab’s in Hamburg oder so. Aber nicht in Stuttgart!“, sagte ein junger Mann vor einem Geschäft mit zerborstenen Schaufenstern. Viele Bewohner sahen sich die Zerstörungen am Sonntag mit eigenen Augen an.

„Entsetzlich!“, findet eine Frau die Zerstörungen. Sie habe es am Morgen erfahren und sei dann in die Innenstadt: Sie habe es sich selbst ansehen wollen. So einen „Katastrophentourismus“ betrieben am Samstag viele Stuttgarter. Die betroffenen Geschäfte liegen direkt an einer zentralen Einkaufsstraße. Ausgerissene Mülleimer, zusammengekehrte Scherben und mit Sperrholzplatten notdürftig verschlossene Schaufenster erinnerten an die Zerstörungswut der Nacht. Viele fotografierten die beschädigten Geschäfte.

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„Ich bin bewusst hierher gekommen, um mir die Schweinerei anzuschauen“, sagt ein Mann. „Ich hoffe, dass sie ein paar erwischen“, sagt ein anderer mit Blick auf die Randalierer. „Wir bekommen langsam amerikanische Verhältnisse“, fürchtet eine Frau. Zwei junge Frauen sind extra gekommen, um die Schäden zu fotografieren. Man wisse noch so wenig über die Vorfälle, sagt die eine. „Deswegen will ich das nicht bewerten.“ Sie habe Angst, dass die Vorfälle von Rechten instrumentalisiert werden.

„Die Bilder haben mich schockiert“

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat nach den Ausschreitungen von Stuttgart „echten Rückhalt“ für die Polizei in Deutschland gefordert. „Diese unfassbare Gewalt muss Konsequenzen haben“, schrieb die Verteidigungsministerin am Sonntagabend im Online-Dienst Twitter. „Aber Polizeibeamte erleben auch im normalen Dienst Respektlosigkeit, Angriffe und Gewalt. Was sie brauchen ist echter Rückhalt, keine Lippenbekenntnisse.“

Es wäre jetzt „der richtige Zeitpunkt, um so etwas wie den Generalverdacht des Rassismus zurückzunehmen“, schrieb die CDU-Chefin weiter. Konkret forderte sie die Rücknahme des umstrittenen Berliner Antidiskriminierungsgesetzes, das nach Ansicht von Kritikern die Polizei einem Generalverdacht unterstellen könnte.

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Der CDU-Kandidat für die Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl Frank Nopper spricht vor einem Sneakers-Laden, dessen Panzerglas-Fenster einen Einbruch verhinderten, von einem „Gewaltexzess“. „Die Bilder haben mich schockiert, so etwa habe ich noch nicht erlebt.“ Stuttgart sei eine von Liberalität und gegenseitigem Respekt geprägte Stadt. Mit aller Kraft müsse dafür gesorgt werden, dass dies so bleibe.

Ein Passant, der in der Nacht unterwegs war, berichtet, dass es sich bei den Randalierern um sehr junge Menschen zwischen 16 und 20 Jahren gehandelt habe. Das bestätigt ein Paar aus Frankfurt: Am Samstagabend sei zu beobachten gewesen, dass sich auffällig viele junge Menschen am zentralen Schlossplatz aufhielten. Eigentlich habe die Stimmung mit Musik und Tanz noch entspannt gewirkt, sagen die Touristen. Die spätere Eskalation habe man da noch nicht ahnen können.

Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) sprach von den schwersten Krawallen in der Geschichte des Bundeslandes. „Die Ausschreitungen, die wir in der Nacht in Stuttgart erleben mussten, waren von einer in Baden-Württemberg bisher noch nie dagewesenen Qualität“, sagte er WELT. „Die Ermittlungen stehen derzeit noch ganz am Anfang, freilich kann ich schon jetzt sagen, dass wir gegen die Randalierer mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln des Rechtsstaates vorgehen werden“, sagte Strobl. „Solche Vorgänge werden wir in Baden-Württemberg nicht dulden.“ Er dankte den eingesetzten Polizeibeamten für ihren „schwierigen und gefährlichen Einsatz“.

Am Polizeipräsidium Stuttgart sei eine 40-köpfige Ermittlungsgruppe eingerichtet worden, das Landeskriminalamt werde die Ermittlungen unterstützen. Strobl sagte, er werde den Landtag in einer Sondersitzung des Innenausschusses am Mittwochmorgen noch vor der Plenarsitzung informieren.

Kretschmann: „Bilder können uns nicht kalt lassen“

Ministerpräsident Winfried Kretschmann verurteilte die Ausschreitungen scharf als „brutaler Ausbruch von Gewalt“. „Diese Taten gegen Menschen und Sachen sind kriminelle Akte, die konsequent verfolgt und verurteilt gehören“, teilte der Grünen-Politiker mit. „Die Bilder aus der Stuttgarter Innenstadt können uns nicht kalt lassen.“

Bürgermeister Fritz Kuhn sprach auf Twitter von einem „traurigen Sonntag für Stuttgart“ und kündigte eine Aufarbeitung des Geschehenen an. „Ich bin schockiert von dem Ausbruch an Gewalt, von den Angriffen auf die Polizei & den Zerstörungen in unserer Stadt“, schrieb der Grünen-Politiker. „Eines muss klar sein: Es darf keine rechtsfreien Räume in Stuttgart geben.“

Kuhn hat sich nach den Krawallen in Stuttgart außerdem zu möglichen Parallelen zu den weltweiten Anti-Rassismus-Demos geäußert. „Ich habe die letzten Jahre die Stuttgarter Polizei so erlebt, dass sie ganz liberal und weltoffen ist und kein rassistische Profil hat oder dass ich rassistische Strukturen sehe“, sagte Kuhn am Sonntag. Er wolle aber nicht ausschließen, dass durch Bilder in den Medien von US-Protesten „sich der ein oder andere vielleicht besonders ermutigt fühlt, etwas gegen die Polizei zu unternehmen“.

Die SPD im Landtag von Baden-Württemberg sprach von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“. Der Innenexperte der Fraktion, Sascha Binder, forderte eine schnelle und umfassende Aufklärung der Umstände der Ausschreitungen in Stuttgart. Die SPD beantragte zudem eine Sondersitzung des Innenausschusses des Landtags für die kommende Woche.

Die Gewerkschaft der Polizei in Baden-Württemberg reagierte schockiert und mit völligem Unverständnis auf die gewaltsamen Ausschreitungen.  „Es ist nicht hinnehmbar, dass es massive Angriffe auf Kolleginnen und Kollegen gibt und zu Beschädigungen und Plünderungen von Ladengeschäften kommt“, sagte GdP-Landeschef Hans-Jürgen Kirstein. „Das ist nicht nur ein Angriff auf Menschen und Sachen, sondern auch auf unseren Rechtsstaat!“

Aufräumarbeiten in der Innenstadt

Am Morgen war die Polizei dabei, Spuren zu sichern und Festgenommene zu vernehmen. Auf der Stuttgarter Shoppingmeile waren Handwerker damit beschäftigt, zerbrochene Schaufensterscheiben mit Spanholzplatten abzudecken.

Stuttgart
Die Randalierer warfen unter anderem Fensterscheiben ein und plünderten die AuslagenQuelle: Getty Images/Thomas Niedermueller

„Die Situation ist völlig außer Kontrolle“, hatte ein Sprecher der Stuttgarter Polizei am frühen Sonntagmorgen noch gesagt.

Im Kurznachrichtendienst Twitter kursierten Videoaufzeichnungen von jungen Männern, die gegen Schaufensterscheiben von Geschäften traten oder Pflastersteine aus dem Boden rissen.

Unter anderem waren auch ein Eiscafé auf der Königstraße und ein bekanntes Bekleidungsgeschäft nahe des Charlottenplatzes von der Randale betroffen. Zur Sicherheit bleibe die Polizei mit einem Großaufgebot in der Innenstadt präsent, sagte der Polizeisprecher am Morgen.

Randale und Plünderungen in Stuttgart
Quelle: dpa/Christoph Schmidt

Auch an vergangenen Wochenenden war es zu Auseinandersetzungen von überwiegend jungen Menschen mit der Polizei gekommen – allerdings nicht in dem Ausmaß wie jetzt. Die Polizei äußerte sich zunächst nicht dazu, ob die Drahtzieher der jüngsten Zerstörungen polizeibekannten Szenen zuzurechnen sind.